cf: Lionels Höhle


Mit leisen Schritten trat Kayla auf das hohe Tor des Grundstückes zu und sah am Eisengitter hinauf zum Manor. Sie hatte vor das Tor appariert, um... warum eigentlich? Vermutlich, um ihrem Vater nicht ganz so bald begegnen zu müssen. Sie hasste es, sich vor ihm ständig rechtfertigen zu müssen und davon ab hatte sie im Augenblick wahrlich andere Sorgen. Es zerriss die junge Hexe förmlich, Lionel in der Höhle zurücklassen zu müssen und jeder Schritt fühlte sich an wie ein Schritt gen Henker. Doch Kayla konnte nicht mehr. Er war an der Reihe. Sie wusste, er bemühte sich und sie wollte auch keine Wunder erwarten. Doch vielleicht wollte er ja auch etwas Zeit. Oder aber sie hatte sich tatsächlich geirrt und er empfand gar nicht so sehr, wie sie geglaubt hatte. Sie seufzte tief und öffnete das quietschende Tor, schritt hindurch und trat auf die gegenüberliegende Seite. Der Park um das Manor herum lag im Dämmerlicht und die scheinbar endlose Weite verschwamm unter kühlem Tau. Kayla blieb für einen Moment stehen und striff plötzlich ihre Schuhe ab. Sie nahm sie in die Hand und ging langsam barfuß über das kalte feuchte Gras. Ihre Füße waren beinahe am Erfrieren, doch sie genoss die Frische und das Eis, als wolle sie etwas wegbrennen.

cf: Lionels Höhle

Lionel wischte sich die eine Träne von der Wange, blickte sich um und stellte fest, dass das Tor noch angelehnt war. Kayla war hier durchgekommen, eben gerade. Das konnte er sogar ohne seinen Geruchssinn sagen. Naja, eigentlich konnte er das schon dadurch feststellen, dass sie ein paar Meter weiter barfuß über die Wiese lief. War sie geisteskrank?
Lionel rannte ihr hinterher und hob sie hoch. "Spinnst du?", fragte er sie in beinahe mütterlichem Ton. "Willst du dir den Tod holen?"
Was machte er hier? Und warum machte er sie noch blöde an, immerhin war er ja eigentlich schuld, dass sie sich jetzt so gab, oder?
"Wieso bist du gegangen?", fragte er dann leicht vorwurfsvoll aber viel mehr traurig. "Du weißt doch wie ich bin. Du kennst mich doch. Ich bin nicht gut in sowas."

Plötzlich fand Kayla sich hochgerissen in Lionels Armen wieder. Mit Herzrasen und völliger Verwirrung versuchte sie automatisch, seine Arme von ihr weg zu drücken, damit sie wieder auf eigenen Beinen stehen würde. "Lass mich runter!" sagte sie wie von selbst, dabei fühlte sie sich eigentlich sehr wohl an Ort und Stelle. "Ich.." begann sie und suchte nach Worten, die auf einmal ein wenig wütend klangen "Ich wollte nur etwas nachdenken." mit gefrorenen Füßen? Sie musste sich eingestehen, dass das sicherlich schon etwas seltsam wirkte. Nachdenklich und irgendwie verzweifelte rang sie weiter nach einem Erklärungsversuch. Natürlich kannte sie ihn, aber wie sicher durfte sie sich sein? Vor allem nach seiner Veränderung. Kayla drehte ihren Blick zu ihm und entgegnete wieder etwas ruhiger: "Ich kannte dich einmal, aber ich bin mir nicht mehr sicher. Du musst nicht gut in sowas sein. Du solltest mich nur halten. Du magst dich allein fühlen, seitdem ER verschwunden ist. Du bist hilflos. Aber du lässt mich nicht für dich da sein." Traurig senkte sie den Kopf und schloss die Augen.

Lionel ließ sie runter und drehte sich weg, weil er schon wieder fühlte, wie sich Tränen in seine Augen mogelten.
"Ich wünschte, ich könnte dich halten. Ich wünschte, du könntest mir helfen. Ich wünschte, ich könnte dich mir nah sein lassen. Aber ich kann nicht. Ich weiß nicht, wie." Er drehte sich schwungvoll um. "Aber wenn es nur ein Wesen auf der Welt gäbe, dass ich gerne bei mir hätte, damit es mir Stärke gäbe und ich ihm, dann wärst du das. Du bist der einzige Mensch, dem ich vertraue, den ich ...." Er brach ab und startete neu:" Aber ich falle, Kayla. Ich falle bereits in einen tiefen Abgrund. Und meine menschliche Seite geht dabei verloren. Ich habe selbst wenn nicht Vollmond ist, das Gefühl, ich bin kein Mensch mehr. Ich habe keine Kontrolle mehr über mich, ich habe nicht die Kraft. Ich meine damit nicht, dass ich gefährlich bin, nein. Dir würde ich niemals was antun. Aber ich verliere mich selber. Die Menschlichkeit, die ich durch dich aufgebaut habe, verschwindet. Ich verschwinde. Der Charakter, den ich habe, er verschwindet. Ich kann mich kaum noch halten in diesem Körper."
Er sprach die Wahrheit, auch wenn es seltsam klang. Vermutlich war es ein Abwehrmechanismus seiner Seele. Er wurde wieder zum Tier. Mehr zum Tier als er jemals war. Er verlor seine ganze Identität. Er verlor alles. Wie sollte er Kayla dann halten, wenn er sich selber nicht halten konnte?

Als Lionel sie wieder absetzte, beobachtete Kayla ihn mit ernstem Blick. Ihre Zehenspitzen liefen langsam bläulich an, aber das schien gar nicht wichtig zu sein. Sie hob die Hände und legte sie beruhigend auf seine Wangen. Sie zog ihn an sich und blickte dem Werwolf einen Moment lang in die Augen. "Du bist mehr Mensch als du ahnst, allein weil du fürchtest, es nicht zu sein. Lionel, du verschwindest nur, wenn du es zulässt. Du brauchst Voldemort nicht, denn du bist stark. Glaube mir!" Dann lehnte sie sich ein Stück vor und küsste ihn liebevoll. Dann sah sie ihn wieder mit diesem ernsten Blick an und sagte herrisch: "Verdammt, lass dich nicht so gehen!" Wenn er einen Dunklen Lord brauchte, um wieder klar zu kommen, dann könnte er auch eine Dunkle Lady haben. Kayla zweifelte bloß daran, wie lange sie diese Kraft wohl aufbringen könnte. Sie hoffte nur, eines Tages wäre er stark genug, um sie zu halten.

Als Kayla sich als seine Herrin aufspielte, musste Lionel doch grinsen. Ja, sie KONNTE so sein, sie war selbstbewusst und stark. Und so schön. Aber sie konnte nie seine Herrin sein. Er respektierte sie, und eigentlich war sie die Herrin seiner menschlichen Hälfte, ja, aber er mochte sie zu gerne und deshalb hatte er keine Angst vor ihr. Vor Voldemort hatte er Angst gehabt. Das war der Grund, weshalb er sich ihm freiwillig unterwarf.
"Kayla. Ich weiß nicht, ob das nur Voldemorts Tod war. Ich glaube, ich habe Angst, menschlich zu sein. Angst vor den Gefühlen. Angst, verletzlich zu sein."
Er sah auf ihre Füße und hob sie wieder hoch. "Ohjeee, du kriegst mindestens eine Blasenentzündung. Warum läufst du auch barfuß rum?", fragte er. "Wegen mir? Hab ich dir das angetan?"

Lionel grinste Kayla an und sie musste zugeben, dass sie nicht ganz so angsteinflößend war wie Voldemort. Aber sie konnte zielstrebig sein und spielte sich ganz gern als kleine Diva auf. "Ach Lionel, es gibt nichts was du fürchten müsstest. Fühl ruhig. Und ich werde dich beschützen, wenn dich jemand verletzen will. " Sie musste schmunzeln. Irgendwie kam ihr alles wie ein kleiner Rollentausch vor. "Sei Mensch und Wolf. Als das liebe ich dich." Hatte sie das gerade ernsthaft gesagt? Manchmal überraschte die hübsche Hexe sich selbst. Dann sah sie seufzend auf ihre Füße, während sie inzwschen wieder in Lionels Armen hing. "Hm.. " sie zuckte unschuldig mit den Schultern, so gut es eben gerade ging und lächelte lieb. "Ich wollte fühlen, dass ich noch fühle kann."

Lionel riss die Augen auf, ebenso den Mudn und ließ vor Schreck beinah Kayla fallen. Aber er fing sie noch rechtzeitig auf und flüsterte leise:" Ich lass dich nicht fallen. Ich würde dich niemals fallen lassen."
Hatte er das nicht schon mal getan? Er wusste es nicht mehr. So viele Erinnerungen verschwanden langsam. War das menschlich, sich nicht mehr an alles erinnern zu können? Vermutlich. Früher hatte er ein gutes Gedächtnis. Hatten Hunde von Natur aus gute Gedächtnisse? Vermutlich, immerhin konnten sie sich an Gerüche erinnern. Wurde er doch menschlicher?
Und jetzt verdrängte er den Gedanken, dass Kayla ihm gerade gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Meinte sie das denn auch so? Und warum hatte er so eine Angst davor? Hatte er denn überhaupt Angst vor IHREN Gefühlen oder vor seinen EIGENEN?
"Kayla. Bitte erwarte nicht, dass ich darauf antworte. Noch nicht. Ich kann es einfach nicht, aber das heißt nicht, dass ich nicht so fühle."
Was verdammt noch mal tat er da? Warum sprach er nicht einfach aus, was er fühlte? Jetzt hatte er es eh schon angedeutet. Feigling, verdammter!

Besorgt blickte die junge Studentin den Werwolf nun an. Sie legte sanft ihren Zeigefinger über seine Lippen und flüsterte: "Du musst überhaupt nichts sagen." Sie wünschte es sich, aber er würde seinen eigenen Weg dazu finden müssen. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihn zu Worte zu zwingen, die er nicht aussprechen konnte. Für seine Barriere gab es schließlich einen Grund, dessen war sie sich sicher. Doch Kayla hatte Angst davor, was dieser Grund wohl sein mochte. Verlegen strich sie sich das Haar hinters Ohr und blickte Lionel schüchtern an. "Würdest du mich ins Haus bringen?" Natürlich hätte sie auch einfach die Schuhe anziehen und selbst gehen können, doch das wollte sie nicht. Sie wollte nicht, dass er sie losließ. Und sie hoffte so, er würde nicht gleich wieder verschwinden.

Lionel nickte, ging ein paar Schritte aufs Haus zu und stockte dann. "Ob dein Vater sonderlich erfreut wäre, mich hier zu sehen? Ich meine, mein Gesicht klebt an jeder zweiten Laterne, mit dem netten Zusatz 'tot oder lebendig'."
Lionel wusste, dass Kaylas Vater eigentlich doch stolz auf das reine Blut war, aber trotzdem glaubte er nicht, dass der Herr des Hauses gerne einen gesuchten Mörder im Haus hatte.
Lionel blickte mit großen Augen richtung Haus und spürte tief in sich den Wunsch, auch endlich ein richtiges Zuhause zu haben. Aber das ging einfach nicht, wenn Vollmond war musste er in den Bergen Schottlands bleiben, um niemanden zu verletzen, den er nich tverletzen wollte.

Caden Valéry war reinblütig, ja. Doch er verspürte nie den Drang in sich, diese Blutslinie mit Gewalt durchzusetzen. Der ehemalige Gryffindor hatte sogar eine Ausbildung zum Auror gemacht, doch lebte nun als vereinsamter Schriftsteller auf Valéry Manor, nachdem seine Frau sich auf dem Weg nach Askaban das Leben genommen hatte. Sie war abgeführt worden, nachdem sie nach einem Weg gesucht hatte, Voldemort zurückzuholen, weil sie ihn tatsächlich aus tiefstem Herzen liebte. Denn sie war stets davon überzeugt gewesen, dass Tom Riddle etwas Gutes in sich trug. Das wurde ihr zum Verhängnis. Caden verheimlichte Kayla diesen Umstand und versuchte seither, sie von allen Dunklen Zauberern fernzuhalten. Doch er bewirkte nur das Gegenteil mit seinen Beschattungen. Folglich wäre es wohl definitiv sehr schlecht, wenn er Lionel zu Gesicht bekommen hätte. Kayla sah den Todesser nachdenklich an. "Ich möchte nicht, dass du gehst. Noch ist mein Vater zwar im Haus, doch mein Schlafzimmer betritt er sowieso nicht. Und nach dem Frühstück wollte er ohnehin zu einer mehrtägigen Reise aufbrechen. Das heißt, du müsstest lediglich den Morgen bei mir im Schlafzimmer verbringen und danach hätten wir das Haus für uns." Sie lächelte ihn hoffnungsvoll an. Doch auch sein Blick entging ihr nicht. Das Valéry Manor war groß und alterwürdig. Ein wundervoller Fleck, doch Kayla vergaß manchmal, dass es Besucher in Staunen versetzen konnte. Allerdings war das kein Staunen in Lionels Blick. "Man kann auch ein Haus in den Bergen Schottlands bauen" sagte sie plötzlich schmunzelnd und vermutete bloß, woran er gedacht hatte.

Lionel blickte sie traurig an. "Aber wer immer dort wohnen würde, wäre immer in der Gefahr, von mir getötet zu werden, wenn Vollmond ist. Und ich will dich nicht verletzen."
Er hatte nicht auf seine Worte geachtet. Ihm war jetzt eh alles egal, selbst wenn er wüsste, was er gesagt hatte, es würde ihm nichts mehr aus machen.
Langsam schleichend - irgendwozu musste es ja gut sein, ein Werwolf zu sein - ging er zum Haus, öffnete die Tür ( die aus irgendeinem Grund nur angelehnt war ), versteckte sich mit Kayla in den Händen schnell hinter einer Tür, als irgend ein Fremder Mensch - ein Angestellter? - ihm über den Weg lief, und schließlich hatte er es unbemerkt geschafft, Kayla in ihr Zimmer zu tragen.

Nachdem Lionel Kayla unbemerkt ins Haus gebracht und mit ihr ihr Schlafzimmer betreten hatte, suchte die Hexe nach einer Lösung des Problems. Ihr Schlafzimmer war eher eine eigene kleine Wohnung im barocken Stil. Dunkelgrüne Ornament-Textiltapeten, große und schwere schwarze Samtvorhänge, altmodische dunkle Möbel, Perserteppiche und dutzende von Kerzenleuchtern zierten den Schlaf- und Wohnbereich. Es gab eine riesige Couchecke mit Kamin, eine Art Miniküche für den täglichen Bedarf, eine Büroecke, die via Stufen etwas abgetrennt lag und einen zweiten offenen Raumteil mit riesigem Himmelbett, dass dunkel bezogen unter schwarzen und dunkelvioletten Vorhängen hervorblickte. Kayla liebte es exzentrisch, vornehm und antik. Die dunklen Farben, die Kerzenleuchter und die prunkvollen Spiegel waren ihre Heiligtümer, sozusagen. Hinter der untersten Schicht dünner Fensterbehänge war eine Tür auf den riesigen Balkon zu erahnen und an der Seite des Schlafbereiches lag eine weitere Tür gen Bad. Kayla ließ Lionel sie absetzen und blickte ihn nachdenklich an. "Nicht zwingend" begann sie leise "wenn nun diese Person Metamorphmagus wäre und sich bei Vollmond in einen Wolf verwandelte... dann würdest du sie doch als Gefährtin betrachten und nicht verletzen oder?"

Lionel blickte erstaunt. "Metamorphmagi können sich auch vollständig in Tiere verwandeln? Ich dachte, sie könnten das nur teilweise. Oder bist du etwa auch Animagus?"
Lionel musste zugeben, dass ihn so etwas nie wirklich interessiert hatte - vor dem heutigen Tag. Er musste kein Animagus werden, weil er sich eh verwandelte, also musste er auch nicht wissen, wie das andere Leute schaffen. Aber jetzt war das wirklich eine Überlegung wert.
Aber wie konnte das denn sein? Eben gerade hatte er noch in seiner Höhle gehockt, Kayla für immer verloren geglaubt, jetzt überlegte sie, wie sie zusammen wohnen konnten?